Zivilgesellschaft ist gemeinnützig

Unsere Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft – und ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht. Gemeinnützige Organisationen müssen sich an der politischen Debatte beteiligen dürfen, ohne den Verlust ihrer Gemeinnützigkeit zu riskieren. Campact streitet für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Hier findest Du einen Überblick unserer Aktionen.

Eine lebendige Demokratie lebt vom Mitmachen. Auf dem Bild sind aus der Vogelperspektive zahlreiche Menschen zu sehen, die gemeinsam friedlich demonstrieren.

Warum ist die Gemeinnützigkeit vieler Organisationen in Gefahr?

Seit einem Urteil des Bundesfinanzhofes gegen Attac fürchten viele Vereine und Initiativen den Verlust ihrer Gemeinnützigkeit. Nach jahrelangem Rechtsstreit schränkte das höchste Finanzgericht im Januar 2019 die Möglichkeiten für Organisationen, politische Entscheidungen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen, massiv ein. Gemeinnützige Organisationen dürfen nur noch „weit im Hintergrund“ zu den Themen politisch arbeiten, die in ihrer Satzung stehen. Daraufhin wurde auch Campact die Gemeinnützigkeit entzogen.

Außerdem ist immer noch nicht gesetzlich klargestellt, dass sich die Körperschaften auch gelegentlich zu Themen äußern dürfen, die außerhalb ihrer Satzung liegen. Also beispielsweise, wenn sich ein Sport- oder Karnevalsverein zu einer aktuellen Debatte rund um das Thema Rassismus engagieren will. Immer wieder unterlassen NGOs solche Aktivitäten – aus Angst vor dem Finanzamt.

Zu politisch? Hilfe für gemeinnützige Vereine

Vereine, denen aufgrund ihres Engagements gegen Rechtsextremismus der Verlust ihrer Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt droht, finden ab sofort Hilfe. Die Kampagnen-Organisation Campact und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützen betroffene Vereine und Initiativen, indem sie in ausgewählten Fällen die Beratungs- und Verfahrenskosten übernehmen und betroffene Organisationen mit spezialisierten Kanzleien zusammenbringen.

Zivilgesellschaft ist gemeinnützig! Die Bundesregierung muss klarstellen: Gemeinnützige Organisationen müssen sich an der politischen Debatte beteiligen können. Denn die Arbeit der Zivilgesellschaft nutzt uns allen. Sie ist gemeinnützig. Bereits 0 Unterzeichner*innen Appell unterzeichnen

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Mehr als 400.000 Menschen haben die Online-Petition von Campact, der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ und von openPetition unterzeichnet. Mit diesen Unterschriften, einem Pappmaché-Lindner und 15 großen Traueranzeigen haben wir am 16. Mai auf Finanzminister Lindner gewartet und wurden vom Bundesminister links liegen gelassen. Mehr Bilder findest Du auf dem flickr-Account von Campact.

Was heißt eigentlich „gemeinnützig“?

Gemeinnützigkeit heißt, selbstlos im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln. Gemeinnützige Organisationen haben bestimmte steuerrechtliche Vorteile. Zum Beispiel können Menschen Spenden an gemeinnützige Organisationen von der Steuer absetzen.

Was als gemeinnützig im Sinne des Steuerrechts gilt, ist in der Abgabenordnung (§ 52) festgelegt. Danach ist zum Beispiel der Einsatz für Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz gemeinnützig, oder die Förderung des Sports und der Kultur.

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Gemeinnützigkeitsreform zum Schutz der Zivilgesellschaft

Zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ hat Campact ein Policy-Papier entwickelt, in dem wir unsere Forderungen klar deutlich formulieren. Denn: Im Gemeinnützigkeitsrecht kann schon ein Wort mehr oder weniger darüber entscheiden, ob das Gesetz unsere Zivilgesellschaft schützt – oder ihre Arbeit gefährdet.

Welche Punkte in der Gemeinnützigkeitsreform unbedingt umgesetzt werden sollten, liest Du in unserem Forderungspapier.

Wichtige Infos auf einen Blick

Die AfD nutzt seit Jahren gezielt die Unsicherheiten im Gemeinnützigkeitsrecht, um Organisationen einzuschüchtern, die sich für Demokratie, humane Migrationspolitik und Klimaschutz engagieren. Sie stellt Anfragen im Bundestag und in Landtagen und zeigt Vereine direkt bei Finanzämtern an. Auch die Union greift zunehmend Organisationen an. Kurz vor der Bundestagswahl drohte Fraktionsvize Mathias Middelberg, Vereine aus dem Förderprogramm „Demokratie leben!” auszuschließen, die gegen die Zusammenarbeit von Union und AfD protestiert haben. Zudem verbreitet die Union rechtsextreme Verschwörungsmythen über angebliche Verstrickungen mit Parteien, der Regierung und ausländischen Geldgebern. Sie bedient sich dabei Methoden, die sonst von der AfD bekannt sind: Im Februar 2025 stellte sie eine Kleine Anfrage an die Ampel-Regierung, in der sie 17 Organisationen unter Generalverdacht stellt und ihre Arbeit angreift.

Dass Campact 2019 die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, ist letztlich eine Folge des Attac-Urteils des Bundesfinanzhofes. Nach jahrelangem Rechtsstreit hatte der Bundesfinanzhof 2019 entschieden, dass die Kampagnen der Organisation Attac keine politische Bildungsarbeit sind. Die höchsten deutschen Finanzrichter sagten, dass politische Bildung nicht eingesetzt werden dürfe, um die politische Willensbildung zu beeinflussen. Daraufhin entzog die Finanzverwaltung Attac den Gemeinnützigkeitsstatus.

Genau wie Attac war auch Campact wegen der Förderung der politischen Bildung als gemeinnützig anerkannt. Und wie Attac ermuntert auch Campact Menschen dazu, sich in politische Debatten einzumischen. Wir tun dies von einem klaren progressiven Wertefundament aus – wir sind zwar unabhängig und überparteilich, aber nicht politisch neutral. Aber genau dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes nicht mit der politischen Bildung vereinbar. Gemeinnützige politische Bildungsarbeit müsse in „geistiger Offenheit“ stattfinden, urteilte der BFH, ohne die Bedeutung des Begriffs genauer zu definieren. Darum hat uns das Finanzamt Berlin im Oktober 2019 schließlich auch die Gemeinnützigkeit aberkannt.

Attac kämpft inzwischen seit vielen Jahren um den Status der Gemeinnützigkeit. Anfang 2021 hat der Bundesfinanzhof zum zweiten Mal und damit endgültig die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac bestätigt. Damit ist der Rechtsweg für das globalisierungskritische Netzwerk erschöpft. Die Auslegung der Finanzverwaltung hat sich durchgesetzt. Da die nötigen politischen Entscheidungen für eine aktive, demokratische und kritische Zivilgesellschaft ausbleiben, sah sich Attac gezwungen, Verfassungsbeschwerde gegen den Gerichtsentscheid einzureichen. Wann das Bundesverfassungsgericht den Fall verhandelt und mit welchem Ausgang, ist offen.

Campact hatte aufgrund der aktuellen Rechtslage schon nach dem ersten BFH-Urteil entschieden, keine rechtlichen Schritte einzuleiten. Gemeinsam mit Attac und über 180 anderen Vereinen und Stiftungen strebt Campact in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ nach einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen für Gemeinnützigkeit.

Gerade für kleinere und weniger bekannte Organisationen kann die Aberkennung der Gemeinnützigkeit den Ruin bedeuten: Bürger*innen könnten weniger spenden, wenn sie ihre Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen können. Außerdem verlieren die Körperschaften den Zugang zu wichtigen Arbeitsgrundlagen, für die der gemeinnützige Status die Voraussetzung ist. Beispielsweise werden sie von manchen Geldern aus Stiftungen oder vom Staat abgeschnitten, dürfen bestimmte Räume nicht mehr mieten oder Infostände in Fußgängerzonen aufbauen.

Auch für Campact hatte der Verlust der Gemeinnützigkeit Konsequenzen: Wir haben Spender*innen verloren, weil wir direkt nach der Veröffentlichung des Attac-Urteils beschlossen, vorsorglich keine Zuwendungsbestätigungen für Spenden mehr auszustellen. Damit waren wir der dringenden Empfehlung unserer Steuerberater*innen und Anwält*innen gefolgt. Eine weitere konkrete Folge war, dass Campact für die erhaltenen Großspenden (über 20.000 Euro) Schenkungssteuer nachzahlen musste.

Campact lässt sich aber nicht mundtot machen. Wir setzen unsere Kampagnen – etwa für Klimaschutz, die Agrar- und die Verkehrswende sowie gegen Rechtsextremismus – fort. Unsere Bürgerbewegung wird von über 3,5 Millionen Menschen getragen: Wir setzen auch nach der Aberkennung der Gemeinnützigkeit darauf, dass unsere Spender*innen und Förder*innen uns weiter treu bleiben und sich Campact auch in Zukunft auf die Finanzierung durch Zehntausende Kleinstspenden stützen kann.

Das BFH-Urteil verstärkt die Missstände des veralteten Gemeinnützigkeitsrechts. Die Einengung des Zwecks der politischen Bildung hat weitreichende Konsequenzen, vor allem für jene Organisationen, die im Bereich der Demokratieförderung oder der sozialen Gerechtigkeit tätig sind oder sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus einsetzen. Solche Körperschaften hatten sich zuvor als „Notlösung“ auf die politische Bildung berufen können – nun fehlt vielen von ihnen ein passender Zweck in der Abgabenordnung.

Zudem sind viele gemeinnützige Vereine verunsichert, inwieweit sie sich politisch engagieren dürfen, um in ihrem Bereich Veränderung zu erwirken. Und sie haben Angst, ihren Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren, wenn sie sich überwiegend politisch für ihre gemeinnützigen Zwecke einsetzen würden – also beispielsweise, wenn sich ein Umweltschutzverein nur mit Petitionen, Protesten und Politiker*innen-Gesprächen für mehr Radwege oder besseren ÖPNV stark macht. Die Vereine und Initiativen werden vor eine schwierige Entscheidung gestellt: Entweder schränken sie ihre wichtige Arbeit ein oder sie gefährden ihren gemeinnützigen Status – und damit oftmals ihre Existenz.

Wir teilen die Kernforderungen der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ und ihren mehr als 180 Mitgliedsorganisationen:

  1. Die Aufnahme weiterer Zwecke in §52 Abs. 2, darunter die Förderung der Grund- und Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit und der Demokratie.
  2. Die Klarstellung, dass gemeinnützige Körperschaften zur Verfolgung ihrer gemeinnützigen Satzungszwecke überwiegend und auch ausschließlich auf die politische Willensbildung und öffentliche Meinungsbildung einwirken dürfen, solange sie den vorgeschriebenen Abstand zu politischen Parteien einhalten.
  3. Die Klarstellung, dass sich Organisationen ohne Gefahr für ihren gemeinnützigen Status gelegentlich zu tagespolitischen Themen betätigen dürfen – zum Beispiel ein Sportverein, der nach einem Anschlag auf eine Synagoge zu einer Mahnwache gegen Antisemitismus aufruft.
  4. Die Befreiung des Zwecks der politischen Bildung aus der Engführung des Bundesfinanzhofs. Körperschaften sollen ihre eigenen Werte und Haltungen zu ihren Satzungszwecken vertreten dürfen.

Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel versprochen, das Gemeinnützigkeitsrecht an entscheidenden Punkten endlich zu verbessern. Aber im Herbst 2024 platzte die Koalition kurz vor der entscheidenden Verhandlung im Finanzausschuss. In einer Koalition mit der Union stehen die Chancen leider sehr schlecht, dass die dringend nötige Reform umgesetzt wird. Schon in der letzten Großen Koalition waren es CDU und CSU, die alle Versuche des damaligen Finanzministers Olaf Scholz blockierten.

Gemeinnützige Vereine wirken zwar an der politischen Willensbildung mit, sie sind jedoch nicht mit Parteien vergleichbar. Sie wollen keine politische Macht und treten nicht zu Wahlen an. Laut Abgabenordnung dürfen sie Parteien weder direkt noch indirekt unterstützen. Diese Verbot wird von den Finanzbehörden streng überwacht und Verstöße hart geahndet.

In Ungarn, Russland oder der Türkei werden Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen oftmals sogar ins Gefängnis gesperrt, wenn sie die Regierung kritisieren. Davon sind wir in Deutschland zum Glück weit entfernt.

In letzter Zeit wird die Zivilgesellschaft aber auch hierzulande immer öfter von Politiker*innen und Konzernlobbyist*innen attackiert: Nur einen Tag nach der Bundestagswahl richtete die CDU/CSU-Fraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, in der sie Verschwörungserzählungen über die Zivilgesellschaft verbreitete und Organisationen unterstellt, Fördergelder gemeinnützigkeitsschädlich zu verwenden. Damit übernimmt die eine AfD-Taktik, die besonders aktiv mit parlamentarischen Anfragen und Gesetzentwürfen gegen gemeinnützige Organisationen vorgeht. Dafür gibt es auf Landes- und Bundesebene unzählige Beispiele.

Deutschland darf sich nicht auf den negativen Beispielen von autoritären Staaten ausruhen, sondern muss ein Leuchtturm für eine freiheitliche Gesellschaft sein. Nur so kann Deutschland glaubwürdig von anderen Ländern mehr Demokratie verlangen und dort Menschenrechtsorganisationen unterstützen. Jede zusätzliche Einschränkung in Deutschland können autoritäre Regierungen als Rechtfertigung für ihre restriktiven NGO-Gesetze verwenden.

Highlights der Kampagne

Kampagnenpartner

Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung