Redefreiheit für Pestizid-Kritiker*innen
Auf Millionen verklagt – dabei kritisierte Karl Bär mit dem Münchner Umweltinstitut nur den übermäßigen Pestizid-Einsatz in Südtirol. Mehr als 253.000 Campact-Unterstützer*innen unterzeichneten einen Appell für die Redefreiheit und halfen bei den enormen Gerichtskosten. Und dann der Erfolg: Die Anzeigen gegen das Umweltinstitut München sind Geschichte! Vielen Dank an alle Unterstützer*innen.
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5-Minuten-Info
Karl Bär und weitere Aktivist*innen vom Umweltinstitut kritisierten den hohen Pestizideinsatz auf Südtiroler Apfelplantagen. In München brachten sie Plakate an – mit dem Slogan “Südtirol sucht saubere Luft”. Der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler erstattete Anzeige; ein Versuch, die Kritiker*innen mundtot zu machen.
Nach nur zwei Tagen wurden die Plakate in der S-Bahn-Station wegen rechtlicher Drohungen gegen den Werbeanbieter abgedeckt. Hier zeigt der Südtiroler Tagesanzeiger die Plakate.
Der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler wirft Karl Bär und den anderen Aktivist*innen vom Umweltinstitut Verleumdung und Rufschädigung vor. Die Aktion habe die Marke Südtirol verletzt und verunglimpfe die Südtiroler Obstwirtschaft.
Das Bozener Gericht bat die Münchner Staatsanwaltschaft um Rechtshilfe. Diese fand keine Hinweise auf Rufschädigung. Sie verwies auf die Meinungsfreiheit und lehnte eine Zusammenarbeit ab. Die Staatsanwaltschaft in Bozen verfolgt die Klage allerdings weiter.
Bergpanorama und Urlaubsidyll – daran denken viele Menschen bei Südtirol. Doch die Region betreibt eine intensive Landwirtschaft und exportiert vor allem Äpfel nach ganz Europa.
Für den Apfelanbau kommen reichlich Pestizide aufs Feld: Fast sechs Mal so viel Ackergift wie im italienischen Durchschnitt bringt Südtirol pro Quadratmeter aus. Mit Folgen: Das Umweltinstitut wies in Südtirol eine hohe Luftverschmutzung durch Pestizide nach. Außerdem tötet das Gift Bienen, Hummeln und Schmetterlinge der Region. Es schadet Mensch und Natur.
Zu Jahresbeginn entzog die EU dem Insektengift Chlorpyrifos-methyl die Zulassung. Das Pestizid ist nachweislich gesundheitsschädlich. Daraufhin empfahl der Südtiroler Beratungsring für Obst- und Weinbau seinen Mitgliedern, die Übergangsfrist bis April zu nutzen und sich mit Vorräten des Mittels einzudecken.
Die Klage wird von einer Allianz aus Politik und Agrarlobby erhoben. Initiator ist der Politiker Arnold Schuler. Er ist Mitglied der Bozener Landesregierung. Bis August 2020 war er zudem stellvertretender Landeschef. Diesen Posten gab er auf, nachdem sein unlauterer Bezug von staatlichen Corona-Hilfen bekannt wurde. Der Klage haben sich große Teile der Agrarlobby angeschlossen. Sie fordern Schadenersatz in Millionenhöhe.
Der Prozess gegen Karl Bär reiht sich ein in eine Vielzahl haltloser Klagen gegen Aktivist*innen und Journalist*innen in ganz Europa. Diese Klagen sind mittlerweile so häufig, dass sie einen eigenen Namen bekommen haben: SLAPP. Das ist englisch und steht für “Strategic Lawsuit against Public Participation” – es geht also um strategische Klagen, die öffentliche Beteiligung unterbinden sollen.
Meist sind es Großkonzerne mit teuren Anwält*innen, die SLAPP-Klagen einreichen. So können sie kleine Organisationen zum Schweigen bringen. Denn hohe Prozesskosten und Strafen schrecken diejenigen ab, die nur ein kleines Budget haben. Es ist eine Praxis, die die Meinungsfreiheit gefährdet.
Weitere Informationen
“Der Apfelkrieg”, Süddeutsche Zeitung, 2. Oktober 2017
“Südtirol ist Pestizidtirol”, Südtrioler Tageszeitung, 10. August 2017
“Zank um die Äpfel”, Süddeutsche Zeitung, 7. September 2020
“Luft in Südtirol durch Pestizide belastet”, Deutschlandfunk, 8. März 2019
“Wechsel an der Spitze der Landesregierung: Arnold Schuler legt das Amt des Landeshauptmann-Stellvertreters zurück”, Der Vinschger, 20. August 2020